Am Anfang waren es die Apothekervereine, die zur Erleichterung der Rezeptabrechnung (mit damals Hunderten von Krankenkassen) in ihren Häusern Abrechnungsstellen einrichteten. Als die Abrechnungsmodalitäten zunehmend komplizierter wurden, bildeten sich – unter Kontrolle der Apothekerverbände – regionale Standesrechenzentren. Und schließlich kamen kommerzielle Abrechner hinzu. Staatlich nicht reglementiert, entwickelte sich im Laufe der Zeit ein immer ungehemmterer Wettbewerb, dem sich kaum ein Rechenzentrum entziehen kann und der die Kostendeckung in Frage stellt. 

Auf der anderen Seite stehen die Apotheken, die seit Jahrzehnten – nicht zuletzt aufgrund politischer Untätigkeit – in ihren Gewinnmöglichkeiten eingeschränkt sind. Konsequenz: Viele suchen ihr Heil in ständig günstiger erscheinenden Tarifen und Abrechnungsgebühren. Diese aber gehen zwangsläufig zu Lasten der Sicherheit der Abrechnungsstellen und im schlimmsten Fall der Abrechner. Die bittere Folge: Mit AvP wurde ein erstes kommerzielles Rechenzentrum in den Ruin getrieben.

„Zu niedrige Abrechnungsgebühren“, konstatierte der Insolvenzverwalter. Factoring und Abtretung waren weitere gewichtige Gründe, weswegen viele Apotheken ihrerseits in große Not geraten sind. Ob und inwieweit fragwürdiges Missmanagement oder gar kriminelle Handlungen – immerhin unter halbstaatlicher Kontrolle – eine Rolle spielten, müssen die staatsanwaltlichen Ermittlungen ergeben.

In sehr intensiven Gesprächen haben wir den Krankenkassen die Auswirkungen der drohenden AvP-Insolvenz verdeutlicht. Die Kassen haben reagiert und die Vorauszahlungen trotz unsicherer Rechtslage für September angewiesen. Desgleichen wurde die Standesbank frühzeitig von uns gebeten, alles Erdenkliche zu unternehmen, um die Liquidität der in Not Geratenen sicherzustellen. Nun wird zusätzlich nach staatlicher Unterstützung gerufen – das ist zwar verständlich, aber auch gefährlich. Denn wenn der Staat kommt, dann, um Strukturpolitik zu betreiben – und (in aller Regel) zu bleiben!

Die Geschichte zeigt, dass auch die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) Fehlverhalten allenfalls begrenzt erkennen kann. Dafür stehen die Vorgänge um Wirecard und AvP. Ein Abtretungs- beziehungsweise Fakturierungsverbot, wie es dies für soziale Sachleistungen (§ 53 Abs. 1 SGB I) gibt, lässt sich schwerlich im § 300 Abs. 2 SGB V unterbringen. Doch selbst wenn, schützt das einerseits nicht vor krimineller Energie und könnte andererseits dazu führen, die Rechenzentren wirtschaftlich spürbar einzuengen.

Probater wären gesetzlich vorgeschriebene zeitnahe Kontrollen der Verwaltungs- wie der Treuhandkonten – noch besser: die Entscheidung für ein standeseigenes Rechenzentrum. Denn dass die Kontrolle durch die Standesgremien (bei NARZ e. V. durch Verwaltungsrat, Vorstand und Rechnungsprüfer) höchst effektiv ist und die Apotheken hinlänglich vor Schäden bewahrt, hat sich erwiesen.

Ihr

Dr. Jörn Graue