Der diesjährige Deutsche Ärztetag hat die Tür zur Telemedizin aufgestoßen. Politik und Medien, aber auch Kassenfunktionäre überschlugen sich schier vor Begeisterung. Doch ihre Kommentare offenbarten eine zum Teil erschreckende Ahnungslosigkeit, was die Materie betrifft. Ebenso irritierend ist allerdings die Blauäugigkeit, mit der die verfasste Ärzteschaft ein gutes bestehendes System dem Zeitgeist zuliebe gefährden will – mit schwammig formulierten Ergänzungen zur Musterberufsordnung.
Beispiel Verschreibungen: Zunächst lehnte die Ärzteschaft mit guten Gründen die Fernverschreibung zu Recht ab. Als die Befürworter der Telemedizin argumentierten, dass die Telemedizin nichts nutze, wenn man zwar beraten, aber nichts verordnen könne, schwenkt der Ärztetag um und erklärte, dass Verschreibungen in Ausnahmefällen möglich sein sollen. Was Ausnahmefälle sind, woher ein Patient weiß, dass Dr. Ed tatsächlich ein approbierter Arzt ist, und wie eine per Telemedizin erteilte Verordnung rechtssicher ausgestellt wird, schon auf diese Fragen blieb (und bleibt) man die Antworten schuldig.
Auch – und nicht zuletzt – in der Politik haben Populismus und Geschwätz die Professionalität zusehends verdrängt. Die elektronische Gesundheitskarte (eGK) ist da nur eines von vielen Beispielen. Nach 14 Jahren Hin und Her und Milliarden Euro an Entwicklungskosten hat Bundeskanzlerin Angela Merkel ihrem Gesundheitsminister Jens Spahn (beide CDU) „freie Hand“ gegeben, das Projekt „das eh nie funktioniert“ notfalls zu beenden. Die eGK wird durch das Handy oder besser das Smartphone ersetzt. Darüber, welche Technologie dieses Medium dann ablöst, darf noch gerätselt werden. Inzwischen lässt Spahn jedoch den Leiter der Abteilung 5 seines Ministeriums, zuständig für Digitalisierung und Innovation, nach dem Motto „Das haben wir so nicht gemeint!“ zurückrudern. Aus Angst vor der eigenen Courage will man jetzt (!) erst mal prüfen, wie es mit der eGK und Co. doch noch funktionieren kann, zumal TK und AOK mit eigenen Modellen aufwarten wollen, die sich angeblich gut in die Telematik-Infrastruktur einfügen.
Ebenfalls seit Jahren steht das Versandhandelsverbot auf der gesundheitspolitischen Agenda. Dazu gab und gibt es Gespräche, Ankündigungen und nun sogar eine Koalitionsvereinbarung zwischen Union und SPD. An diese Passage ihres Vertrages erinnern sich offenbar nicht sonderlich viele Koalitionäre. Andere wollen die Sache lieber den Verfassungsrichtern in Karlsruhe überlassen. Wozu? Tatsache ist, dass die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union mehrheitlich ein solches – europarechtlich durchaus konformes – Verbot praktizieren. Hinzu kommt, dass die holländischen „Grenzapotheken“ weder mit den niederländischen, geschweige denn den deutschen Vorort-Apotheken zu vergleichen sind. Nur das kommt wohl kaum einem unserer Politiker in den Sinn. Schade, denn angesichts der drängenden Probleme, die auch im Gesundheitssektor vor uns liegen, müsste die Devise längst „handeln statt quatschen“ lauten.
Ihr